Der Spurensucher
Jonas Glanzmann aus Thun fördert Spuren aus der Schweizer Geschichte zutage. Der Hobby-Archäologe ist in Fachkreisen anerkannt und arbeitet eng mit den Behörden zusammen. Ich begleitete ihn zu einer Fundstelle am Tor zum Berner Oberland.
«Es ist ein aufwändiges Hobby und passt irgendwie nicht in unsere Zeit», sagt Jonas Glanzmann, als wir den steilen Forstweg in der Nähe des kleinen Bahnhofs von Heimberg hinaufstapfen. «Heute will man sofort Erfolg, aber hierfür benötigt man Geduld und Ausdauer.»
Die Kiesel knirschen unter den Schuhen, die Morgensonne lässt die Blätter der Herbstbäume in vielfältigen Gelb- und Rottönen erstrahlen. «Oft ruht ein Projekt während Jahren, weil man nicht weiterkommt», sagt Glanzmann. «Dann plötzlich stösst man auf etwas Bedeutsames. Das Gefühl ist unbeschreiblich.»
Wir sind unterwegs zu einer seiner jüngsten Entdeckungen: Die Burg Heimberg oder was davon übrigblieb. «Ich wollte wissen, wie die Beziehungen der Zähringer von Burgdorf aus nach Thun waren», erzählt der 45-Jährige. «Dabei fiel mir auf, dass aus strategischer Sicht der Eintritt nach Thun wichtig war. Da ein Geschlecht von Heimberg in den Quellen existiert, reizte mich die Suche nach der Burgstelle.»
Er studierte die Topografie und schaute, wo es im 12. und 13. Jahrhundert Wege und Übergänge gab. «Zusammen mit schriftlichen Aufzeichnungen in den Archiven und alten Karten ergab sich ein Gesamtbild, das mir sagte: Die Burg kann nur hier stehen.»
800 Jahre lang verborgen
Glanzmann, ein Emmentaler, der heute mit seiner Familie in Thun lebt und beruflich als Immobilienexperte tätig ist, begeistert sich seit seiner Kindheit für Geschichte. Als Jugendlicher suchte er in den Emmentaler Bachläufen nach Gold. Später im Militär lernte er, das Gelände zu lesen und sich in die Köpfe von Strategen zu versetzen.
Das hilft ihm noch heute bei der Prospektion, dem Lokalisieren von Fundstellen im Gelände durch Kartenstudien, Begehungen und mit Hilfe technischer Geräte. «Burgen wurden an strategisch wichtigen Stellen gebaut, an Orten mit Überblick und Anschluss an Wege», erklärt er. Allein im oberen Emmental konnte Glanzmann fünf neue, bisher unbekannte Burgen-Standorte identifizieren.

Inzwischen sind wir bei der Heimberger Burg angelangt. Doch viel ist nicht zu sehen: Eine Erhebung an einem dicht bewaldeten Hang. Glanzmann klettert die steile, bewachsene Böschung hoch. «Hier lebte eine adlige Familie mit Verbindungen zu den Thuner Herrschern. Doch nicht in Prunk. Im Mittelalter war alles einfach.»
Deshalb thronte hier vor rund 800 Jahren auch keine verzierte Burg mit mächtigen Mauern, sondern eine relativ simple Konstruktion. Er deutet auf den Boden. «Wahrscheinlich stand hier ein Wohnturm aus Holz, der mit Steinen verstärkt wurde. Weiter unten gab es einen Speicher. Umgeben war das Ganze von einer Holzpalisade». Irgendwann kam das Ende: Die Burg wurde verlassen, die Bewohner vielleicht sogar vertrieben. Was nicht als Baumaterial abtransportiert und andernorts verbaut wurde, verrottete und versank im Boden. Die Burg geriet in Vergessenheit.
Glanzmann entdeckte die Stelle im März 2018. Innerhalb weniger Wochen findet er Mauerreste und stösst auf Keramikscherben und Tierknochen. Mit einem Metalldetektor fördert er schliesslich eine Münze aus dem 12. Jahrhundert zutage. Momentan beschreibt er seine Funde in einem Aufsatz für das nächste Jahrbuch der Archäologie des Kantons Bern.
Die Augen und Ohren der Profis
Glanzmanns Arbeit wird auch als Bürgerwissenschaft oder «Citizen Science» bezeichnet. «Die Ursprünge der Archäologie liegen bei Personen, die sich für ihre Heimat und die Geschichte interessierten», sagt Glanzmann, der im Vorstand des Arbeitsgemeinschaft Prospektion Schweiz (AGP) ist.
«Pro Kanton mit einer ausgebauten Kantonsarchäologie gibt es vielleicht zwischen 1 und 20 Prospektoren. Daneben hat es besonders im Kanton Bern noch Heimatkundler, die in den Archiven arbeiten», sagt er. Doch allgemein werde nur noch wenig lokal geforscht, und Ehrenamtliche wie er, die sowohl in den Archiven als auch im Gelände unterwegs sind, seien selten.
Umso mehr schätzen Wissenschaftler die Arbeit der wenigen Hobby-Archäologen. Diese sind die Augen und Ohren der Profis, denen häufig die Zeit und das Geld fehlt, um jeder Spur nachzugehen.
«Die Zusammenarbeit hat sich in den letzten Jahren intensiviert und ist heute sehr bereichernd», erklärt Wenke Schimmelpfennig, Ressortleiterin Archäologisches Inventar beim Archäologischen Dienst des Kantons Bern (ADB). «Während der Dienst den gesamten Kanton im Blick behält und dort den Fokus auf dem Schutz des Bestehenden im Zusammenhang mit Bauvorhaben, Planungen und Ähnlichem legt, haben die Archäologieinteressierten einen ganz anderen Zugang zu ihrer Region», erläutert sie. «Sie kennen Geschichten und Sagen, die Landschaft, alte Wege, das Gelände. Auch eine Erzählung eines Bekannten aus der Nachbarschaft kann zu einer längst vergessenen Fundmeldung führen.»
Natürlich gäbe es auch schwarze Schafe, ergänzt sie. Sie berichtet von Grabungslöchern an Burgstellen oder Spuren illegaler Metalldetektorsuchen. «Schaden nimmt die Archäologie vor allem durch solche illegalen Suchen, die wir meist nur indirekt mitbekommen.»
Glanzmann kam 2009 in Kontakt mit dem ADB. Damals seien Ehrenamtliche noch kaum ein Thema gewesen. «Ich hatte schon damals viele Ergebnisse und Entdeckungen und wollte diese nicht länger für mich behalten.» Viele Berührungsängste seien inzwischen abgebaut worden. Die Zusammenarbeit sei gut, aber «es geht noch mehr», sagt Glanzmann.
Neue alte Wege
Wir verlassen den Burghügel und spazieren in der Mittagssonne zurück zum Bahnhof Heimberg, zurück in die Gegenwart mit ihrem Autolärm und ihren Neubauten. Für Jonas Glanzmann geht die Suche nach Vergangenem weiter. Momentan sei er daran, Anschlüsse an die Hauptverkehrsachse Nord-Süd aufzuspüren. «Ich versuche den alten Verkehrsweg von Thun in den Westen bis nach Avenches nachzuweisen», verrät er. Da sei ihm kürzlich ein wichtiger Fund gelungen. «Alles entwickelt sich zu einem grossen überregionalen Bild», sagt er geheimnisvoll. «Da liegt definitiv noch viel verborgen.»